Dialog mit einer Tapisserie aus dem 18. Jahrhundert:
Alexa Daerr, Bettina Gruber, Karen Tam, Ulrich Tillmann
Ausstellung
08.06.2018—24.08.2018
Kunstraum Claudia Delank | Bleibtreustr. 15–16, 10623 Berlin
Nach Vereinbarung
Eröffnung
08.06.2018 | 19 Uhr
Kunstraum Claudia Delank | Bleibtreustr. 15–16, 10623 Berlin
Finissage
mit Improvisationen für Flöte (Camilla Hoitenga),
Guitarre (Leigh Thomas) und Kantele (Eija Kankaanranta)
24.08.2018 | 20 Uhr
Kunstraum Claudia Delank | Bleibtreustr. 15–16, 10623 Berlin
Die Chinamode war eine Kulturmode an europäischen Fürstenhöfen zur Zeit des Barock und Rokoko im 17. und 18. Jahrhundert, die auf der nur vage umrissenen Vorstellung beruht, China müsse ein Land des heiteren und spielerischen Lebensgenusses sein. In der bildenden Kunst werden Dekorationsformen entworfen, die besonders in allen Formen und Materialien der Innenausstattung Szenen aus dem vorgestellten Leben der Chinesen gestalten. Die Chinamode kann man als eine Art Eskapismus verstehen. Sie verschwindet, als gegen Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend Kenntnisse über das wirkliche China zugänglich werden.
Die ausgestellte Tapisserie mit einem Repertoire aus Chinoiserien mit vier Figuren einer Pagode und Pflanzen ist von Jean Barraband II entworfen. Sein Vater Jean Barraband hatte eine Tapisseriemanufaktur im Keller von Schloss Monbijou eingerichtet und dort Tapisserien hergestellt, die sich heute im Schloss Charlottenburg befinden, so auch eine Serie von Tapisserien mit derselben Bordüre in einem Raum, der zur Zeit nicht der Öffentlichkeit zugänglich ist und die ich in schwarz-weiß Fotos dokumentiert habe. Die Tapisserien wurden mit Kettfäden aus Wolle und Schussfäden aus Seide gewebt. Ein Quadratmeter zu weben dauert zwischen 4 und 6 Wochen. Hier stehen vier Chinesenfiguren in einer weiten Landschaft mit Wasser, eine Palme und ein bizarrer Blütenast bilden das seitliche Repoussoir im Vordergrund bizarre Felsen und im Hintergrund eine Pagode. Eine dreidimensional gestaltete Bordüre mit Akanthusblättern und Spiegeleinsätzen sowie oben und unten mittig eingesetzten Köpfen bilden den Rahmen. Die Figuren, die außen stehen, tragen exotische Früchte, der Junge links eine Kokosnuss und der Chinese mit Bart eine große Palmfrucht. Beide Figuren sind farbig gefasst, während die beiden mittleren – eine Frau und ein alter Mann – farbig in den Hintergrund angeglichen sind. Wenn man bedenkt, dass es sich um eine gewebte Szene und nicht gemalte Szenerie handelt, dann ist es um so erstaunlicher wie malerisch sie wirkt, besonders gilt das für den von links ins Bild ragenden bizzarren Blütenzweig und die farbliche Schattierung des Hintergrundes. Hier spiegelt sich der Anfang der europäischen Begeisterung für China und Ostasien. Die Darstellung geht auf europäische Stichvorlagen zurück und keinesfalls auf ostasiatische Originale.
Alexa Daerrs Werk konzentriert sich vornehmlich auf Fundstücke des Alltags, deren Funktion Form und Bedeutung sie in einen Prozess der Transformation unterzieht. Hier hat sie in dieser Arbeit kleine Figuren, die an baktrische Figuren erinnern in den Dialog gesetzt. Die Form des Trägers der Figuren erinnert an ein Schiff und verwandelt die Figuren zu Passagieren eines Takarabune, eines japanischen Schatzschiffes der 7 Glücksgötter.
Bettina Gruber ist Video-, Performance- und Fotokünstlerin und lebt und arbeitet in Köln. Sie ist in zahlreichen Sammlungen in Deutschland und international vertreten. Ihr Beitrag zur Dialogausstellung sind Gespenster, einmal das „Schleierhafte Gespenst“, ein Video, und das „Müde Gespenst“. Sie beziehen sich auf die Figuren in der Tapisserie, die vereinzelt schemenhaft aus dem Nichts auftauchen.
Die in Montreal lebende Künstlerin Karen Tam setzt in ihren Installationen asiatische Kultur in einen westlichen Kontext, so zum Beispiel. 2015 im Montreal Museum of Fine Art hat sie einen chinesischen Curio Shop installiert und die Fragen nach Original und Fälschung gestellt. Immer stellt sie das Exotische der asiatischen Kulturen in den Fokus und nennt es „celebrating the Oriental gaze“. Karen Tam ist am Art Institute in Chicago als Bildhauerin ausgebildet und dazu hat sie einen PhD in Cultural Studies am Goldsmith Institute in London, University of London. In dieser Ausstellung zeigt sie Scherenschnitte von chinesischen Figuren und Tieren in gestanzter Goldfolie, die stark an die verspielten Chinoiserien des 18. Jahrhunderts erinnern, aber durch die ironischen Titel, die Karen Tam wählt, Distanz zur Chinabegeisterung und -mode schafft. „We are saddened to learn of this tragic news“ ist der Titel zu einem Erhängten an Bambuszweigen – das Bild ist schon in sich ein Widerspruch, da Bambus sich durch die Last biegt und nicht das gewünschte Resultat bringt. Der Betrachter weiß nicht, ob es sich um einen erhängten Menschen handelt oder nicht. „The Chinese must go“ zeigt einen Chinesen, der an seinem Zopf von einem japanischen Soldaten in Uniform abgeführt wird Zugrunde liegt eine japanische Karrikatur aus dem sino-japansichen Krieg von 1894.
Ulrich Tillmann, ein Kölner Fotokünstler, der vor allem in deutschen Sammlungen vertreten ist, setzt auf einer s/w Fotografie einen ost-westlichen Dialog in Szene – ein Hund Schnautze an Schnautze mit einem chinesischen Porzellan-shishi aus dem 18. Jahrhundert, einem Löwenhund. Alle vier Künstler setzen sich in einem mimetischen oder ironischen Dialog mit der Chinoiserie-Tapisserie auseinander und lassen den Betrachter partizipieren und den Dialog weiterentwickeln.






