East is East, and West is West

Insektenbilder von Milena Aguilar, Maria Sibylla Merian (1647–1717), Kitagawa Utamaro (1753–1806) und Gabriela Volanti

Ausstellung
31.01.2014 — 16.04.2014
Galerie Claudia Delank | Bleibtreustr. 15–16, 10623 Berlin

Katalog
„East is West and West is West. Insektenbilder von Milena Aguilar, Maria Sibylla Merian, Kitagawa Utamaro und Gabriela Volanti“ (Berlin 2014).
Mit Aufsätzen von Horst Bredekamp, Claudia Delank, Davide Ferri.
Bestellungen per E-Mail oder Fax.

Milena Aguilar führt in die Technik des Radierens ein
13.02.2014 | 18:00 Uhr
Galerie Claudia Delank | Bleibtreustr. 15–16, 10623 Berlin

Atelierbesuch bei Gabriela Volanti
22.02.2014 | 15:00 Uhr
Kunstraum Kreuzberg/Bethanien | Kottbusser Str. 10, 10999 Berlin

Vortrag von Dr. Claudia Delank „Geschichte und Technik des japanischen Farbholzschnitts“
12.03.2014 | 18:00 Uhr
Galerie Claudia Delank | Bleibtreustr. 15–16, 10623 Berlin

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Zum ersten Mal wird in Berlin ein außergewöhnliches Ensemble von Arbeiten zeitgenössischer westlicher Künstlerinnen und Grafikkünstler aus dem 18. Jahrhundert aus Japan und Europa zusammen ausgestellt.

Oh, East is East, and West is West, and never the twain shall meet,
Till Earth and Sky stand presently at God s great Judgment Seat;
But there is neither East nor West, Border, nor Breed, nor Birth,
When two strong men stand face to face, tho  they come from the ends of the earth.

Mit diesen Worten thematisiert der britische Schriftsteller und Dichter Rudyard Kipling (1865–1936) in seiner 1889 erschienenen The Ballad of East and West das Verhältnis zwischen Ost und West. Ost und West geographisch ohne Zweifel auf dem Kompass entgegengesetzt und werden sich niemals treffen. Aber wenn  zwei starke Menschen sich treffen, egal, welcher Nationalität, Rasse oder Familie – sind sie ebenbürtig.

Der von Kipling angedeutete Gegensatz als Dualismus zwischen Trennung und Zusammenkommen, zwischen Divergenz und Konvergenz bildet das gedankliche Zentrum dieser Ausstellung. Gerade in den Darstellungen von Insekten werden Prozesse der kulturellen Grenzziehung und der Entgrenzung sichtbar, sowohl in einer geographischen als auch in einer zeitlichen Dimension.  Jedes Lebewesen und sei es noch so klein ist ein Wunder der Schöpfung.

Die Radierungen von Milena Aguilar zeigen fragile Gebilde von Insekten: abgestorbene Körper, oft auch isolierte Körperteile wie Flügel oder Beine. Insekten, ein zentrales Element in Milena Aguilars künstlerischer Produktion, werden zu fragmentarischen Gestalten, die sich filigran komponieren. Die abgestorbenen Insektenkörper werden durch ihre ornamentale Anordnung zu einer lebendigen Seherfahrung. Durch die Auseinandersetzung mit Natur, Auflösung, Zeit, Tod und Leben knüpfen Milena Aguilars Arbeiten an die Tradition der Stilllebenmalerei an und werden zu einem modernen Ausdruck des Memento Mori. Milena Aguilar studierte an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig, wo sie 1998 bis 2002 einen Lehrauftrag für Druckgraphik hatte, ebenso 2013 an der Hochschule für Künste in Bremen. Ihre Werke wurden in zahlreichen nationalen wie auch internationalen Ausstellungen gezeigt und unter anderen  dem Kunstpreis der Stadt Madrid ausgezeichnet. Milena Aguilars Arbeiten befinden sich in zahlreichen öffentlichen Sammlungen wie beispielsweise dem Kupferstichkabinett in Madrid. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin.

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Die Insektenforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian, die mit ihrem Hauptwerk Metamorphosis insectorum Surinamensium (1705) zu einer der wichtigsten Wegbereiterin der Entomologie wurde, ist in der Ausstellung mit mehreren Insektenbildern vertreten.
Als mutige Frau reiste sie mit ihrer Tochter ohne männlichen Schutz auf einem holländischen Schiff 1699 nach Surinam, einer südamerikanischen Kolonie nördlich von Brasilien gelegen, die sich die Holländer mit den Briten und Franzosen teilten. Ziel der Reise war es, die Insekten in den Tropen zu erforschen, zu zeichnen und Kupferstiche von ihnen anzufertigen. Die handkolorierten Kupferstiche zeigen nicht nur die naturkundlichen Ergebnisse ihrer Reise- und Forschungstätigkeit, sie dokumentieren auch die ästhetische Wirkung, die Begeisterung, den Tropengeist. Nie zuvor waren aus den Tropenländern Bilder von solcher Eindruckskraft nach Europa gekommen. In ihren Darstellungen von Schmetterlingen, Raupen und Bienen werden nicht nur transkulturelle Prozesse greifbar, sondern auch die immer noch sehr aktuelle wissenschaftshistorische Auseinandersetzung zwischen Naturwissenschaften und künstlerischem Ausdruck, zwischen Natur und Kunst. Sie zeugen von einer großen Lust an der üppigen Farbigkeit.

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In seinen Holzschnitten aus dem Ehon mushi erabi (Bilderbuch ausgewählter Insekten, 1788), einem Kleinod der japanischen Holzschnittkuns,t verbindet Kitagawa Utamaro, der vor allem berühmt war für seine Frauenpotraits (bijin)  die Grundsätze der japanischen Kunst mit einer naturalistischen Betrachtungsweise und macht es zu einem der schönsten Naturbilderbücher, die die Kunstgeschichte kennt. Walter Jens sagte, dass die  deutsche Faksimile Ausgabe des Insektenbuches von Utamaro zur Weltliteratur gehöre. Zum ersten Mal in der japanischen Tradition rückt Utamaro die Insekten in den Mittelpunkt und setzt sich programmatisch für eine wirklichkeitsgetreue Darstellung der Tiere ein. In der Technik des Holzdruckverfahrens äußerst verfeinert mit Glimmerdruck (mika)  auf den Zikadenflügeln. Die Darstellung von Insekten, zu denen in Japan auch Frösche und Schlangen gehören, sind kombiniert mit Kurzgedichten, die aus einem Wettstreit von Poeten ausgeschrieben von dem Verleger Juzaburo hervorgegangen waren. Die Dichter saßen im Sommer 1788 am Flussufer lauschten dem Musizieren der Grillen und Zikaden und ließen sich zu Gedichten mit amourösen Anspielungen inspirieren. Dies war eine Beschäftigung, der man in Japan seit dem 10. Jahrhundert nachging. Utamaros Insektenbuch dokumentiert eine Hinwendung zum Realismus der japanischen künstlerischen Produktion des späten 18. Jahrhunderts und bildet somit das Pendant zu den westlichen Insektenbildern von Maria Sibylla Merian. Die Werke der beiden Künstler verbindet eine erotisch sinnliche Sicht auf die Insekten.

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Die Flügelskulpturen der Berliner Künstlerin Gabriela Volanti sind großformatige Strukturen aus gefaltetem Zeitungspapier, die fein vernäht und mit Ölfarbe übermalt werden. Durch die formale Reduktion einerseits und die große symbolische Kraft andererseits werden Gabriela Volantis Arbeiten zu archaischen Erscheinungen von Lebensformen. Das Archaische verschränkt sich mit den zeitgenössischen gestalterischen Mitteln und erzeugt somit eine einzigartige zeitliche und inhaltliche Verdichtung des Insektenbildes.

Durch diese vier künstlerischen Positionen werden Schmetterlinge, Bienen, Käfer, Gottesanbeterinnen, Raupen und Nachtfalter zum Spiegel transkultureller und interdisziplinärer Prozesse zwischen Osten und Westen, zwischen ästhetischem und naturwissenschaftlichem Interesse.